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  Modell und Fotos von Gerd Busse  
     


Focke Wulf Triebflügel


Senkrechtstarter: Vom Triebflügel zum MAV

von Gerd Busse (Weil der Stadt)

und Ron Barrett (Auburn, USA)

 

 

Im Kriegsfall sind Flugzeuge auch wegen der von ihnen benötigten Landebahnen anfällig. Der Hubschrauber ist hiervon unabhängig, allerdings ist seine Höchstgeschwindigkeit begrenzt.

Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte hat es nicht an Bemühungen gefehlt, die Möglichkeiten des Hubschraubers mit der Geschwindigkeit von Flächenflugzeugen zu kombinieren. Das Ergebnis ist bekannt: das strahlgetriebene Flugzeug mit schwenkbarer Turbine, schwenkbarem Strahl oder separaten Hubtriebwerken wurde Sieger bei dieser Evolution, die auf hohe Geschwindigkeit und Senkrechtstart abzielte (Harrier, 1960. Do 31, 1967. VFW Fokker VAK 191B, 1971) /1/. Überlebt hat im wesentlichen der Harrier. Die anderen stehen z.B. im Deutschen Museum.

Bei der Entwicklung gab es auch zwei ursprünglich ebenfalls verfolgte technische Alternativen. Wir wollen sie in diesem Artikel in Erinnerung rufen und über eine aktuelle Entwicklung berichten.

 

Die erste Alternative ist der schwenkbare Rotor zur Kombination von Flächenflugzeug und Hubschrauber, erstmals bei dem Projekt Fa 269 (als Modell 1/72 bei Airmodel Products, AM-2060) eingeplant: die Attrappe wurde am 4.6.42 beim Luftangriff auf das Werk Hoyenkamp vernichtet. Die Konstruktion war 1943 weit fortgeschritten, als sie gestoppt wurde, weil ein kurzfristiger Einsatz nicht zu erwarten war /2/. Diese Entwicklungen fanden ihre Fortführung /1/ in den Flugzeugen

Bell XV3, Transitionsflug erstmals im April 1955

Vertol VZ 2A, August 1957

Dornier Do 29, Dezember 1958

Curtiss-Wright X-19A, November 1963

Canadair CL-84, Mai 1965

Bell XV-15, Mai 1977

Bell/Boeing V-22 „Osprey", 1989.

 

Die mit diesem Konzept erreichten Geschwindigkeiten liegen mit ca. 550 km/h, eher im Bereich von Transportflugzeugen.

 

Die zweite Alternative ermöglicht trotz Senkrechtstart deutlich höhere Fluggeschwindigkeiten:

Prof. Dr. Otto von Holst baute 1940 Modelle mit um den Rumpf drehenden gegenläufigen dreiflügeligen Luftschrauben, die von Null bis Maximalgeschwindigkeit flogen. Anfang 1944 führte er die Modelle in Bad Eilsen dem Focke-Wulf Entwicklungsbüro vor. Daraufhin beschäftigten sich dort die Herren Dr. Otto von Pabst und Flugzeugbaumeister von Halem mit dem Problem. Sie entwarfen im selben Jahr den „Triebflügel", ein senkrecht startendes Jagdflugzeug (Bild 1). Durch die Verwendung von drei an den Rotorblattspitzen angebrachten Lorin-Triebwerken (Staustrahl-Triebwerke ohne

bewegliche Teile) mit je 840 kp Schub wurde das auf den Rumpf wirkende Drehmoment und damit die Notwendigkeit von zwei gegenläufigen Rotoren bzw. Propellern vermieden. Der Triebflügel sollte in Schwerpunktsnähe in Wälzlagern auf einer Röhre umlaufen, die in dem spindelförmigen Rumpf untergebracht war. Da die Lorin-Triebwerke erst oberhalb einer Mindestgeschwindigkeit von 300 km/h Schub liefern, waren zusätzlich Walter-Raketenmotore vorgesehen, die dem Triebflügel die erforderliche Anfangsrotation geben sollten /3/. Die Drehzahl sollte bei 220 U/min und die Höchstgeschwindigkeit bei 1000 km/h liegen /4,5/.

Zum Bau und zur Erprobung kam es nicht mehr.

 

Bild 2: Heckbereich mit Kreuzleitwerk. Stützräder und Hauptrad jeweils mit geöffneter Verkleidung.

Insbesondere die vertikale Landung (4 Stützräder an den Enden des symmetrischen Kreuzleitwerks an ausfahrbaren Auslegern, zentrales Hauptrad /5/, Bild 2) hätte hohe Ansprüche an den Piloten gestellt, der ca. 7 m hoch über dem Landeplatz saß (Bild 3). Man kann es sich wie Rückwärtseinparken in drei Dimensionen bei eingeschränkter Sicht vorstellen.

 

 

Bild 3: Cockpitbereich und Waffenöffnungen des Triebflügels.

Einen anschaulichen Eindruck von diesem futuristischen Projekt gibt das Modell in 1/72 von Huma, dessen Rotor doppelt kugelgelagert wurde, so daß er sich sehr leicht dreht. Bei der Gestaltung des Cockpits (das um Kopfstütze, Gurte und Instrumentenbrett angereichert wurde) und bei der Farbgebung hat man Spielraum für Spekulationen, weil das Original nicht gebaut wurde. Da das Original im Stand und in der wegen der gegnerischen Luftüberlegenheit ganz besonders gefährdeten Start/Landephase alle seine Seiten gezeigt hätte (Bild 1), entfiel die Verwendung der hellen Unterseiten-Tarnfarbe RLM 76. Nach Rücksprache mit den hilfsbereiten Modellbaukollegen Mattes und Navrath vom SIM Stuttgart wurden die Oberflächen in RLM 75 und RLM 83 gespritzt, wobei die Seite, die im Flug Oberseite war, Segmentbereiche erhielt. Alles andere bekam Flecktarnung, auch der ganze Triebflügel.

Der Wunsch nach senkrecht startenden schnellen Flugzeugen resultierte auch nach Kriegsende in technisch äußerst anspruchsvollen Projekten /1/:

Lockheed XFV-1, die im März 1954 erstmals flog, allerdings mit provisorischem langbeinigen Fahrwerk in konventioneller Startweise. Kein Senkrechstart durchgeführt (Modell 1/72 von Pegasus).

Convair XFY-1 „Pogo" flog erstmals im August 1954 und führte im November 1954 den Übergang vom Senkrechtstart zum Schnellflug und zurück durch. Über dieses Flugzeug und das 1/72 Modell hat U. Bischoff berichtet /6/. Obwohl eine Geschwindigkeit von 980 km/h erreicht wurde (also wesentlich mehr als mit Schwenkrotorflugzeugen), wurde das Programm 1955 aufgegeben, weil keine Aussicht bestand, daß jemals die Geschwindigkeit moderner Flächenflugzeuge zu erzielen wäre.

Ryan X-13 Vertijet. Strahltriebwerk, erster Transientenflug April 1957.

Snecma C. 450-01 Coleopter. Ringflügel, Erstflug Mai 1959, Absturz Juli 1959 (Modell 1/72 von HiTech, Meaux, Frankreich).

Kürzlich erfuhr dieses Konzept „Senkrechtstart mit Transientenphase ohne Strahlablenkung" eine Wiederbelebung. Die Erfahrung aus Einsätzen in lokalen Konflikten (z.B. Kosovo) hat nämlich den Nutzen unbemannter Aufklärung gezeigt: Der Verlust von Piloten, der politisch schwer einschätzbare Situationen auslöst, wird auf diese Weise vermieden, denn schlimmstenfalls geht ersetzbares Gerät verloren. Die Größe solcher Drohnen bestimmt ihre Gefährdung durch Abwehrmaßnahmen. Für eine neue Generation von kurzreichweitigen Drohnen, den „Micro Aerial Vehicles" (MAV), ist die maximale Größe auf 15 cm festgelegt (Bild 4). Ihre Leistungsfähigkeit bei Überwachungsaufgaben des Nahbereiches ist aber nicht durch ihre „Größe" beeinträchtigt. Sie sollen über 30 Minuten im Schwebeflug verharren oder mit 80 km/h ihre Position wechseln, senkrecht starten und landen können (z.B. auf der Ecke eines Flachdaches, wenn es um die länger andauernde Beobachtung von Straßen geht). Obwohl derzeit Verbrennungsmotoren verwendet werden, wird durch Schalldämpfung angestrebt, daß sich die Drohne im Abstand von 15m nicht mehr aus dem Geräuschpegel der

Bild 4 : „Micro Aerial Vehicle" (MAV) des Adaptive Aerostructures Laboratory, Auburn University/USA (Attrappe mit 8,5 cm Durchmesser)

 

Umgebung hervorhebt. Die konsequente Verwendung von Mikroelektronik ermöglicht GPS-Navigation und Bildübertragungen bis zu Helligkeiten, die 50% Vollmondhelligkeit entsprechen. Der Einsatz soll auch im zivilen Bereich erfolgen, beispielsweise bei

Verbrechensbekämpfung,

Überwachung chemisch oder strahlungsmäßig gefährdeter Bereiche,

Grenz- und Gebäudeüberwachung,

Vermessungswesen.

Die MAV stellen große technische Herausforderungen dar hinsichtlich folgender Punkte: Leichtgewichtige feste Strukturen, Stabilisierung durch Sensorik, Nachrichtenübertragung, Plattformstabilisierung, Navigation und Steuerung, wobei die tückischen Windverhältnisse um Gebäude zu beachten sind. Das erste Drehflügel- MAV flog beim Autor RB im Juli 1999 im Adaptive Aerostructures Laboratory an der Auburn University, USA. Derzeit (Oktober 1999) erfolgen schon Flüge von 15 Minuten Dauer mit einer „Nutzlast" von 113 g. Im Laufe der Zeit ist eine Größenreduzierung auf 8,5 cm Durchmesser vorgesehen. Ein solches MAV zeigt Bild 4, allerdings als „leere" Attrappe mit Elektromotor und Tarnanstrich in RLM 76/81. Der helle Anstrich überwiegt, weil seitliche Tarnung gegen den Untergrund kaum eine Rolle spielt. Wenn man sich beim Triebflügel den Teil oberhalb des Rotors wegdenkt (der ja nur den Piloten und die Waffen trägt, die man beim MAV nicht benötigt), zeigt die direkte Gegenüberstellung (Bild

 

Bild 5: Vergleich Triebflügel (1/72) und MAV (1/1).

 

5) die Gemeinsamkeiten: 

Beide habeneinen rotationssymmetrischen Rumpf (bei MAV zylindrisch wegen einfacher Herstellung und Kamera im Heck), ein Kreuzleitwerk und 4 Auslegerbeine für Start/Landung. Warum braucht das MAV trotz der Verwendung eines Motors, der auf den Rumpf ein Drehmoment ausübt, keine zwei gegenläufigen Propeller, sondern nur einen, wie der Triebflügel? Der Luftstrom wird durch einen hinter dem drehenden Propeller starr angebrachten Stator in Gegenrichtung gedreht und bewirkt dadurch auf den Rumpf ein neutralisierendes Drehmoment. Der Stator wird durch einen Ring stabilisiert, der auch den Propeller (und die Finger) schützt.

 

Der Triebflügel, der nach zwischenzeitlicher Luftfahrtforschung ausgestorben war, hat nun kleine und sehr flinke Nachfolger bekommen, die bezüglich Werkstoffeinsatz und Mikroelektronik an die Grenzen des technisch Machbaren stoßen.

 

 

 

Literatur

 

/1/ N.N.: Enzyklopädie der Flugzeuge.

Weltbild Verlag GmbH, Augsburg, 1994. ISBN 3-89350-055-3.

 

/2/ Springmann, E.: Focke.

Aviatic Verlag GmbH, Oberhaching, 1997. ISBN 3-925505-36-9

 

/3/ Kens, K; Nowarra, H. J. :Die deutschen Flugzeuge 1933-1945.

J. F. LehmannsVerlag, München, 1977. ISBN 3-469-004405-6

 

/4/ Wagner, W.: Kurt Tank - Konstrukteur und Testpilot bei Focke-Wulf.

Bernhard & Graefe Verlag, München, 1980. ISBN 3-7637-5271-4

 

/5/ Sengfelder, G.: Flugzeugfahrwerke. Motorbuch Verlag, Stuttgart, 1979.

 

/6/ Bischoff, U.: Convair XFY-1 Pogo. FLUGZEUG 5/1995, S.68-70.